Mit dem Refrain von „Fix you“ im Kopf stehe ich in der Küche und koche mir die fünfte Tasse Tee. Ich summe die Melodie und denke, dass mich niemand fixen kann. Auf dem Schild am Teebeutel steht irgendetwas von Gelassenheit. Nichts fühlt sich weiter weg an. Als das heiße Wasser in der Tasse ist, schickt es tanzende Rauchzeichen in die Luft. Im Licht meiner Schreibtischlampe zeigen sie sich besonders deutlich. Ich stelle die große rosafarbene Tasse, die ich damals in Paris gekauft habe, auf den Stapel Bücher und setze mich. Paris. Die Umgebung verschwimmt vor meinen Augen und alles, was ich sehe, ist er, im Hintergrund die Seine.
Während meiner Menstruation scheint meine Haut besonders großporig und durchlässig. Als wäre ich viel offener, offen für jedes Gefühl. Empfänglich für alles und komplett ohne Schutz oder Barriere. Als könnte einfach alles von außen nach innen strömen, durch mich hindurch und von innen nach außen. Und ich nehme alles davon wahr, noch intensiver als sonst. Jede Nachricht, jedes Zeichen, jede Geste, jede Stimmung, jedes Gefühl. Auch Musik macht noch mehr mit mir. Filme, Serien, geschriebene Zeilen. Alles strömt rein und raus ohne Halt, ohne Kontrolle, und löst etwas aus.
Ich bereue, dass ich die Bilder von damals alle gelöscht habe. Sie existieren lediglich in meinem Kopf. In schwarz-weiß sitzt er rauchend am Fenster unseres Pariser Apartments. Das größte Klischee erfüllt und dabei den damals für mich schönsten Mann eingefangen. Das sind die schönen Erinnerungen. Aber es gibt auch andere. Und ich fühle Schwere in der Brust. Meine Augen brennen. Es schmerzt. Wieso schmerzt es immer noch?
Jetzt, wo alles nur so strömt und fließt und intensiv ist, merke ich, dass der Schmerz nach wie vor da ist. Er sitzt tief und hat sich nicht einfach mit der Zeit aufgelöst. Nein, gut verstaut trage ich ihn mit mir herum. Im Alltag spüre ich ihn nicht. „Da bin ich lange drüber weg.“ Aber an Tagen wie diesen, da macht er sich bemerkbar. Und erzählt mir, dass mich niemand fixen kann. Und dass er der Grund dafür ist, dass ich mich auf nichts mehr einlassen möchte. Dass es vielleicht nicht immer der Wahrheit entspricht, dass ich aus dem Grund keine Beziehung möchte, weil ich vollkommen zufrieden mit mir alleine bin. Vielleicht sei das nicht immer der wahre Grund, sondern eigentlich er, erzählt mir der Schmerz.
Die Rauchzeichen sind verschwunden, der Tee ist abgekühlt. In Wahrheit ist nichts schwarz und oder weiß. Nichts ist so leicht zu definieren, zu trennen, zu differenzieren. Weder meine Gefühle noch die tiefliegenden Gründe für mein Verhalten noch die Erinnerungen an eine andere Zeit. Nicht einmal Paris. Meinem kontrollsüchtigen Verstand gefällt das nicht. Er will simple Erklärungen und die Wahrheit und meinen Schutz vor Schmerz erzwingen. Aber das geht nicht. Und das ist gut so.
Es ist gut so, dass ich all das fühle und empfinde. Es ist gut so, dass der Schmerz sich zeigt und mit mir spricht. Es ist gut so, dass es strömt und fließt, rein und raus. Es ist gut so, dass sich Erinnerungen im Dampf meines heißen Tees zeigen und ich nicht gelassen sein kann. Es ist gut so, dass nichts schwarz und oder weiß ist.
Ist das nicht in Wahrheit sogar wunderschön? Ist das nicht das Leben?
Super schöner Text. Super berührend. Und wahr. Und Bilder in meinem Kopf hervorrufend. Zum Anfassen, irgendwie. Danke!
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Danke dir, liebe Francis! Freut mich, dass meine Zeilen etwas in dir auslösen.
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