Eine Kurzgeschichte: Du, ich und alles, was ich lernen durfte

Du und ich. Wir zwei sind eine kurze Geschichte. Die ganz schön lange gedauert hat. Wenig Inhalt für so viel Zeit und deshalb schnell erzählt. Der Einstieg etwas unbeholfen aber schön, dann ein paar Absätze voller unerwiderter Gefühle und Drama, gefolgt von einer Pause, ein paar Zeilen voll von freier Leidenschaft und schlussendlich einem abrupten Ende. Doch für mich und mein Leben waren wir mehr als das. Da waren wir vielleicht einer der lehrreichsten Meilensteine überhaupt.

Also von vorne

Ich sehe dich vor mir in deinem Parka und deinen schicken Stiefeln, glatt rasiert, schlank und jung. Nachdem wir vor unterschiedlichen Bars aufeinander gewartet haben. Ich bin ein bisschen nervös, weil du so schön bist. Wir unterhalten uns lange, aber schwimmen schon damals nicht auf der gleichen Wellenlänge. Du trinkst Cola und ich Caipi. Du erzählst von deinen Karriereplänen und Erlebnissen in den Schickimicki-Clubs der Stadt und ich von meinen idealistischen Träumen und Schreibereien. Doch irgendetwas in mir weiß schon damals, dass mir unter dem Parka ein unsicherer kleiner Junge mit weichem, verletzlichem Kern gegenüber sitzt. Und dass du in Wahrheit nichts trinkst, um mich dann nach Hause fahren zu können.

Bei mir angekommen, frage ich dich – mutig vom Alkohol und irgendwie aufgeputscht von deinem Blick -, ob du noch mit rein kommen willst. Du stellst den Motor aus und grinst. Genauso wie später, als ich in deinen Armen liege. Und das ist der Moment. Der Moment, in dem mein Herz hüpft und ansagt, dass ich bereits gefallen bin. Weil sich jetzt und hier der Junge in dir zeigt. Weil du mit deinem Parka und deinem Hemd auch deine Abgeklärtheit, Oberflächlichkeit und diesen Hauch von Arroganz abgelegt hast. Weil du hier in meinem Bett nicht möglichst cool wirken willst, sondern losgelöst und ohne Absicht grinst. Weil du jetzt erst du bist. Als du irgendwann aufstehst, um dich wieder anzuziehen und zu gehen, bin ich dir nicht böse. Viel eher fühle ich mich so beflügelt, so leicht und so verdammt verwegen wie lange nicht.

Die Rosarote Brille

Zu diesem Zeitpunkt bin ich der Überzeugung, dass Sex beim ersten Date das schlechteste Omen überhaupt für etwas mit Zukunft ist. Dabei ist alles, was ich will, etwas Romantisches mit Zukunft und jemandem, der mich auf Händen trägt. Nachdem ich eine lange Zeit mit jemandem verbrachte, der mich stattdessen mehrmals fallen ließ. Ich gehe also davon aus, einen Fehler gemacht zu haben, während ich gleichzeitig höher als auf Wolke 1000 schwebe, und beschließe aus diesem Konflikt heraus, etwas ohne Gefühle mit dir anzufangen. Und begehe mit 1001 Gefühlen im Bauch den nächsten Fehler. Anstatt mir selbst so viel wert zu sein, mich vor dem nächsten Fall selbst zu beschützen, trage ich stolz die rosarote Brille – nackt im Bett mit dir.

Überhaupt passen rosarote Brillen sowieso viel besser zum Sommerkleid beim gemeinsamen sonntäglichen Spaziergang mit Händchenhalten als zu nackter, verschwitzter Haut zwischen Laken.

Weil ich das noch nicht weiß, steuere ich volle Kraft voraus auf den nächsten Fall zu. Natürlich vollkommen durchschaubar mit dem Gedanken, dich vielleicht noch umstimmen zu können. Denn du willst absolut nichts Festes und bist dabei leider ziemlich fair, du erklärst es mir und bist konsequent. Also verpasse ich mir selbst den ein oder anderen Stoß in den Bauch, als ich dich im Club mit einer anderen rummachen sehe oder stundenlang auf deine Nachricht warte, die nicht kommt. Um die Wunden zu heilen, hole ich dich mitten in der Nacht betrunken vom Feiern ab oder fahre nach einem super anstrengenden Tag nur für ein paar wenige Stunden und eine Portion Berührung und Zuneigung zu dir. Denn ich bin mir nicht gut genug, um mir diese Anerkennung selbst zu schenken.

Crash.

Du kommst zu mir. Ich kippe vorher drei Shots, um mir mal wieder Mut anzutrinken. Aber diesmal, um dir zu sagen, dass ich nach wie vor die rosarote Brille trage und deshalb so nicht weitermachen kann. Denn ich habe irgendwo doch noch ein Fünkchen Achtung vor mir selbst gefunden. Doch bevor sich der Alkohol bemerkbar machen und ich zu Wort kommen kann, liege ich ein weiteres Mal unter dir. Ein paar Tage später schreibe ich dir feige alles in einer Nachricht auf WhatsApp und du sagst, dass es dann wohl besser sei, wenn wir das beendeten. Ich weine, ich schreie, ich schreibe. Weil Schreiben schon immer das ist, was meinen Gedankenklumpen im Kopf erleichtert und den Schmerz im Herz zumindest ein bisschen lindert.

Aber aus einem klaren Cut wird eine On-Off-Geschichte, die noch nicht einmal diesen Namen verdient, weil ja niemals etwas on war zwischen uns. Während der zwei Jahre, in denen du und ich immer wieder zueinanderfinden, gibt es durchaus auch andere Männer. Und bei dir ohnehin andere Frauen. Doch um ganz ehrlich zu sein, komme ich nie so richtig von dir los, bis ich schließlich einen Mann kennenlerne, der mich vom einen auf den anderen Tag vollkommen in seinen Bann zieht. Und zwar mehr und ganzheitlicher als du es je getan hast.

nochmal, aber anders

Nach zwei Jahren ist Schluss. Und ganz still und leise schleichst du dich wieder in mein Leben. Aber dieses Mal auf eine andere Art und Weise. Du hilfst mir über den Trennungsschmerz hinweg und ich finde den Spaß an leidenschaftlichem Sex ohne Gefühle und Bindung, den ich immer wollte. Dass der Grund dafür sein könnte, dass mein Herz mich nach dem großen Schmerz vor Gefühlen jeder Art beschützen möchte, ist mir egal. Denn es ist verdammt gut. Weil wir uns so gut kennen, probieren wir all das miteinander aus, das wir uns bei neuen (Sex-)Partnern nicht zu äußern trauen.

Und mit dem nötigen Abstand erkenne ich nun auch selbst, dass wir nie für etwas anderes gedacht waren. Wir sind immer noch die, die sich damals nervös in der Bar gegenüber saßen, nur mit noch ein bisschen mehr Lebenserfahrung und damit noch unterschiedlicheren Einstellungen. Ich die Feministin, du der sexistische Sprücheklopfer, dessen Kern ich jedoch nach wie vor als gutherzig und sensibel einschätze. Aus uns konnte und kann niemals das werden, was ich mir damals durch die rosarote Brille ausmalte. Und das ist vollkommen okay so.

Gehen oder bleiben?

Irgendwann allerdings wirst du unfreundlich. Weil wir das sind, was wir sind, und das noch nicht einmal in eine Schublade passt, scheinst du den Respekt vor mir verloren zu haben. Du behandelst mich wie jemanden, der oder die dir vollkommen egal und noch egaler als das ist. Und seien wir ehrlich: Egal wollen wir nicht einmal dem- oder derjenigen sein, der oder die eine Nacht mit uns im Bett verbringt. Denn Egalsein erfüllt nicht unser Bedürfnis nach Anerkennung, das wir unweigerlich alle in uns tragen. Und Respekt ist sowieso das, was im Umgang miteinander – und zwar jeglicher Form – immer gegeben sein sollte. Also beginne ich mich unwohl zu fühlen. Und stehe damit vor derselben Entscheidung wie vor ein paar Jahren: gehen oder bleiben?

An dieser Stelle der Geschichte steht nun alles, was man von mir halten könnte, endgültig auf der Kippe. Es ist nicht so, dass ich stolz bin auf den Weg bis hierher. Auf diese Geschichte, in der ich immer wieder eine Abzweigung nahm, die eine Frau, die sich selbst akzeptiert, liebt und etwas wert ist, nicht nehmen würde. Trotzdem beschreibe ich all das so offen und ehrlich – aus einem Grund: Es ist ein Weg. Mein Weg. Und auf diesem Weg bin ich gestolpert, habe ich falsche Abzweigungen gewählt und bin in diverse Löcher gefallen, aus denen mein Herz ein paar Kratzer davon getragen hat. UND: Ich bin an all dem gewachsen und habe gelernt, was das Zeug hält. Diese Selbstliebe, von der alle sprechen, ist nicht wie ein Glückscent auf dem Gehsteig plötzlich einfach da und gehört mir dann. Sie wächst langsam aber stetig, nährt sich aus Fehlern und Entscheidungen und braucht dabei meine Geduld und Fürsorge. Und deshalb schaue ich zurück und akzeptiere meinen Weg, meine Entscheidungen und damit mich selbst.

Und entscheide mich, zu gehen.

Wir beide waren und sind eine schnell erzählte Kurzgeschichte, die nun ihr Ende gefunden hat. Drama, Leidenschaft und Verlangen wollen dem Inhalt zwar Tiefe verleihen, doch letztendlich war nichts von uns jemals ansatzweise tief. Wir bewegten uns auf unseren unterschiedlichen Wellenlängen immer eher an der Wasseroberfläche – du trautest dich nicht in die Tiefe und ich traute mich nicht, einfach auszusteigen. Bis ich irgendwann den Mut fand, es tat und letztendlich erkannte, dass wir mit unserer Kurzgeschichte ein Teil sind, der zu mir und meiner eigenen Geschichte dazugehört und immer dazugehören sollte. Und das ist gut so.

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