Draußen sitzt ein Mann, der sich mit jemandem unterhält, der gar nicht da ist. Zumindest für meine Augen nicht. Und für die der Kellnerin auch nicht, wie es scheint, weil sie verwundert nach draußen sieht. Er lacht dabei und scheint irgendwie glücklich. Vielleicht ist es ein alter Freund, den er lange nicht gesehen hat. Er hat viel Gepäck dabei, vielleicht ist er auf der Durchreise und trifft sich auf einen Kaffee zum Quatschen. Die ihn kurz verdutzt dreinblickenden Passant*innen nimmt er gar nicht wahr. Er ist ganz bei sich, seinem Kaffee und seinem Gegenüber. Und ich stelle mir die Frage:
Ist es nicht egal, wie verquer wir alle sind, solange wir glücklich dabei sind?
Wir beurteilen gerne die, die aus der Norm fallen, und fühlen uns gleichzeitig selbst häufig irgendwie falsch und nicht dazugehörig. Und manchmal hängt das zusammen. Dann fühlen wir uns selbst nicht richtig und werten andere ab, um uns aufzuwerten. Um uns irgendeinen Grund zu liefern, warum wir doch gar nicht so blöd sind. Ich könnte mir hier sitzend nun also denken, dass der Typ da draußen ja ganz schön einen an der Waffel hat und es bei mir immerhin noch nicht so weit ist, dass ich mit unsichtbaren Menschen rede. Aber alles, was ich mir denke, ist: Und wenn er doch glücklich dabei ist?
Damit möchte ich nicht sagen, dass ich besser bin als die, die mit der Verurteilung anderer ihr Selbstwertgefühl aufpolieren. Hab ich vermutlich schon unzählige Male genauso gemacht. Doch ich möchte weiterdenken. Weiter als „Die ist schlecht, also bin ich gut“. Weil das – wenn es uns denn irgendwann bewusst wird – augenscheinlich weder nachhaltig gut für mich noch für eine Gemeinschaft ist. Ich möchte heraus aus diesem Kreislauf, in dem miese Gedanken über andere miese Gedanken über mich selbst ablösen und Gefühle wie Selbstsicherheit und Erhabenheit mit Gefühlen wie Einsamkeit und Unsicherheit fangen spielen. Weil dieser Kreislauf schon lange nicht mehr und im Grunde noch nie gesund war, nicht für mich und auch für niemanden sonst.
Mein Glück ist hier
Also schaue ich noch eine Weile dem Mann draußen zu. Nicht aus dem Grund, um ihn auszulachen, sondern um von ihm zu lernen. Wenn ich ihn nicht verurteile, ja gar nicht erst beurteile, ändert das rein gar nichts an meinem Wohlbefinden. Und das ist gut so. Ich bleibe schlichtweg weiterhin hier sitzen mit meinen Gedanken über mich selbst. Ich bin hier und er da draußen. Mein Glück ist hier und seins da draußen. In diesem Moment übernehme ich die Verantwortung für mich selbst und schiebe sie nicht länger denen, die noch mehr falsch als ich zu sein scheinen, in die Schuhe. Nicht die bestimmen, wie ich über mich selbst denke, sondern ich. Niemand kann etwas an meinem eigenen Wert verändern – und noch nicht einmal ich selbst. Aber es ist an mir, ihn zu erkennen.
Niemand kann etwas an meinem eigenen Wert verändern.
So ist das mit dem Selbstwert. Wir alle sind etwas wert, wir sind bereits wertvoll auf diese Welt gekommen. Ohne, dass wir irgendetwas geleistet haben oder irgendwie gewesen sind. Unseren Wert haben wir einfach inne. Punkt. Doch irgendwann beginnen wir, Überzeugungen, wie wir zu sein und was wir zu tun haben, anzunehmen und die Sicht auf selbst verändern zu lassen. Diese Überzeugungen und die Erfahrungen, die wir sammeln und die uns zeigen, dass wir doch nicht richtig sind, legen sich Schicht für Schicht um unser Herz und vergraben unseren Wert unter sich. Es ist also kein Wunder, dass wir ihn irgendwann vergessen. Unser schlaues Köpfchen kramt dann aus seiner Trickkiste Tricks heraus, wie etwa den Wert anderer gedanklich zu schmälern, um uns selbst zu beweisen, dass wir zumindest im Gegensatz zu ihnen schon irgendwo etwas wert sind.
Und wenn wir uns dessen nicht irgendwann bewusst werden – sei es durch das Lesen von Büchern zu Persönlichkeitsentwicklung, den Besuch von Seminaren oder Vipassanas oder kurze Momente wie diese -, schwirren wir unser Leben lang unbewusst in diesem trickreichen Kreislauf.
Solange ich glücklich bin
Ich bewundere die Tricks meines Köpfchens, aber ich durchschaue sie langsam. Zumindest den ein oder anderen, denn mein Köpfchen ist nach wie vor schlauer als ich. Und auch die Schichten um mein Herz möchte ich aufbrechen, um mir meines Wertes bewusst zu sein und meine Verantwortung nicht länger abzugeben. Um zu erkennen, dass ich so verquer sein kann wie ich will, solange ich glücklich bin. Und dass ich glücklicher sein kann, indem ich mich an meinen Wert erinnere. Und dass der Mann da draußen ebenfalls so verquer sein kann wie er will, wenn er doch glücklich ist. Und das rein gar nichts mit mir zu tun hat.