Zwischen Loslassen und Verlieren

Heute Morgen habe ich in mein Notizbuch den Satz geschrieben: „Manchmal, wenn ich mich in meinem Leben verliere, scheint es, als wäre ich kein Teil davon, aber bin ich es nicht erst recht, wenn ich mich voll und ganz hineinstürze?“ Was es damit auf sich hat und wie ich zu diesem vom philosophisch anmutenden Gedanken komme, möchte ich hier mit dir teilen.

Seit ich mit ihm schreibe, weiß ich wieder, wie gut es für mich und vor allem meine Arbeit ist, mit niemandem „zu schreiben“. Denn das Schreiben ist ja nie nur Schreiben. Es ist immer wieder das Handy in die Hand zu nehmen und Apps zu öffnen, auf Bildschirme starren, Chatverläufe wieder und wieder neu zu laden, auf blaue Haken oder ein „schreibt…“ zu warten und zu lange über gleichzeitig schlaue und witzige Antworten nachzudenken. Es ist Ablenkung und Flucht aus dem Alltag in einem. Und wenn die ach so schlaue und witzige Konversation ausbleibt, ist es vor allem eines: Zeitverschwendung.

Weil ich diese Situationen zu gut kenne, die gerade dann wie beschrieben aussehen, wenn ich frisch begonnen habe, mit einem scheinbar aufregenden Mann zu schreiben, kann ich mein Verhalten bereits ziemlich gut einschätzen: Ich verliere nach und nach alles andere aus den Augen und irgendwann auch mich selbst.

Eine fließende Grenze

Mal mehr, mal weniger spannende Konversationen mit einem Mann, den ich gut finde, und auch die Zeit dazwischen, die ich mit Warten und neu Laden verbringe, sind für mich wie ein Sog, der mich ohne Vorwarnung in seine Tiefen reißt und verschlingt. Ich gehe darin unter und verliere den Blick fürs alles, was mir wichtig ist, und jegliche Selbstbestimmung. Ich lasse die Zügel los und gebe sie in andere Hände, die mich jedoch nicht immer dorthin führen, wo ich eigentlich mal hin wollte. Und meine Ideen und Träume und Werte leiden darunter.

Warum ich mich dann überhaupt wieder auf so etwas einlasse? Ich sehne mich danach, einfach mal loszulassen. Auf der einen Seite sehne ich mich danach, Vernunft und Kontrolle vollkommen loszulassen und mich Hals über Kopf in etwas zu stürzen, das Herzklopfen und Abenteuer verspricht. Den Verstand zu ignorieren und blind meinem Herzen zu folgen. Auf der anderen Seite kenne ich mich zu gut und möchte diese Abhängigkeit von blauen Haken und die Aufgabe meiner Selbstbestimmung nicht noch einmal erleben.

Ich bin mir inzwischen bewusst darüber, dass ein großer Unterschied zwischen Loslassen und Verlieren liegt. Das eine passiert bewusst, das andere unbewusst. Doch die Grenze dazwischen war für mich bisher immer fließend. Ich konnte sie nicht greifen und war mir ihrer nicht bewusst. Ein kräftezehrender Balanceakt, den ich gar nicht als solchen begriff und somit meistens verlor. Und mich selbst gleich dazu.

Es liegt ein großer Unterschied zwischen Loslassen und Verlieren.

Vielleicht ist er meine Chance

Ich weiß nicht, aus welchem Grund ich nun seit längerem keine ernsthafte Beziehung zu einem Mann hatte. Aber ich sehe, dass ich den Balanceakt bisher nie gewinnen hätte können und es deshalb besonders in den letzten zwei Jahren von großer Bedeutung für mich und meinen eigenen Weg war, keinen Sog in dieser Art und Weise in meinem Leben zu haben. Es war gut so, wenn nicht sogar notwendig und absolut richtig für mich.

Trotzdem sehe ich auch, dass es nicht die Lösung für mich ist, auf keine Beziehungen mehr einzugehen, um in Ruhe meinen Weg gehen zu können. Ich suche die Abwechslung zu allem, was ich tagtäglich erlebe. Ich suche die spannende, mich verwirrende und gleichzeitig reizende Konversation. Ich suche Momente, in denen ich Vernunft, Kontrolle und Verstand hinter mir lasse und mich in etwas stürze, das mein Herz wie wild klopfen und mich vollkommen im Jetzt ankommen lässt. Ich sehne mich nach Gefühlsexplosionen und dem richtig lauten Knall. Aber eben ohne das Warten und den Sog und das Verlieren. Also möchte ich lernen, wie das geht. Ich möchte lernen, mir bewusst zu sein, auch in der Situation selbst, und die Balance zu finden.

Und vielleicht ist jetzt der Zeitpunkt dafür gekommen, vielleicht ist er meine Chance. Vielleicht darf ich mich jetzt, wo ich bereits die Ansätze einer Sogwirkung wahrnehme, darin üben, irgendwie eine Balance zu finden. Mein Vorteil: Ich weiß inzwischen – dank der langen Zeit nur mit mir ohne Ablenkung – sehr gut, was ich brauche und wie ich Zeit mit mir selbst verbringen kann und auch muss, um mich selbst im Blick zu behalten. Vielleicht ist jetzt also der Moment, in dem ich beweisen darf, was ich gelernt habe, und mich gleichzeitig im Loslassen üben kann. Denn, und der Gedanke kam mir heute Morgen, ich bin mir sicher, dass es möglich ist, mich ins Leben zu stürzen und dabei erst recht weiterhin ein Teil dessen zu sein.

Manchmal, wenn ich in meinem Leben verliere, scheint es, als wäre ich kein Teil davon, aber bin ich es nicht erst recht, wenn ich mich voll und ganz hineinstürze?

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