„So viel Gefühl hab ich auf den Kopf gehauen“, singt Annett Louisan im Hintergrund, während ich in den erstaunlich blauen Himmel vor meinem Fenster schaue.
Was in mir gerade richtig viel Gefühl auslöst, ist die Serie „Normal People“. Ich habe das Buch von Sally Rooney gelesen und es geliebt. Genauso geht es mir mit der Serie. Wie echt, nah, verletzlich und damit NORMAL sich die Hauptcharaktere Marianne und Connell hier zeigen, berührt mich ungemein. Sie ziehen mich mit ihrer Echtheit und ihrem Normalsein in den Bann.
Für alle, die weder das Buch gelesen noch die Serie gesehen haben – eine kurze, inhaltliche Zusammenfassung: Es geht um die Beziehung zwischen zwei Menschen, Marianne und Connell, die über mehrere Jahre hinweg begleitet wird – von der Schulzeit bis zum Uniabschluss. Die Beiden wachsen in unterschiedlichen Verhältnissen auf und finden trotzdem zueinander, wenn auch anfangs im Verborgenen. Als Leser:in und Zuschauer:in begleitet man sie nicht nur als Paar, das sich immer wieder verliert und doch wieder findet, sondern auch als sich weiterentwickelnde Persönlichkeiten mit all ihren Herausforderungen wie Ängsten, Zweifeln, Depressionen und familiären Problemen. Jedweder Plot Twist und Höhepunkt in der Geschichte bleibt aus, es gibt keine Held:innenreise auf die herkömmliche Art und das Ende der Geschichte ist offen.
Dafür bekommt man jedoch so viel echtes und intensives Gefühl, wie es selten ist in romantischen Geschichten – obwohl es so wenig selten ist in der romantischen Realität.
Konflikte ohne Lösung
All die inneren und zwischenmenschlichen Konflikte, die wir in unserer Realität erleben, werden selten so unverblümt beschrieben und dargestellt. In den sozialen Medien sowie allerlei Romanen, Filmen und Serien, die von Beziehungen handeln, wird beschönigt, verschleiert, gefiltert und nur das gezeigt, was erstrebenswert ist. Ja, ab und an sehen wir den ein oder anderen Konflikt, doch direkt darauf folgt meist die Lösung oder eben zumindest später ein Happy End. Was, wenn es aber gar nicht DIE Lösung gibt, weil das Problem so viel vielschichtiger und tiefgreifender ist – so wie im wahren Leben?
Es beruhigt und berührt mich gleichermaßen, Menschen dabei zuzusehen, zu zweifeln, Fehler zu machen und zu scheitern und eben nicht direkt eine Lösung zu finden. Ich liebe es, eine fiktive Geschichte zu verfolgen, die sich verdammt realistisch anfühlt, weil sie mir Menschen zeigt, die ähnlich fühlen wie ich. Menschen, die Zweifel, Ängste und Sehnsüchte in sich tragen, die sich auch mit Erkenntnissen und Weiterentwicklung und dem Älterwerden nicht einfach auflösen und dazu führen, dass sie Fehler machen und Entscheidungen treffen, die sie bereuen. Und genauso werden die Herausforderungen gezeigt, die sich wiederum aus der Weiterentwicklung und den verschiedenen gesellschaftlichen Konstrukten ergeben, in denen sie sich befinden.
Auch die Gedanken und Gefühle, die ich selbst noch nicht hatte, bewegen etwas in mir.
Sie küssen sich, obwohl sie es nicht wollen/dürfen/sollten. Been there, done that. Sie sagen aus Angst nicht das, was sie fühlen und denken, reden aneinander vorbei und schweigen. Sie verhalten sich in unterschiedlichen Beziehungen und sozialen Gefügen unterschiedlich, so wie wir es in der Wirklichkeit alle tun. Connell hat hohe Erwartungen an sich und große Angst, verurteilt zu werden und nicht dazuzugehören. Marianne fühlt sich in im Auslandssemester verloren und weit weg von sich selbst. All das kenne ich zu gut. Aber auch die Gedanken und Gefühle, die ich selbst noch nicht hatte, bewegen etwas in mir, weil ich mich hineinversetzen kann und so nah dran bin. Etwa Mariannes Hang dazu, sich zu unterwerfen, und Connells Depression.
Die echte Tiefgründigkeit und Einfachheit des Lebens
Mich berührt schon immer vor allem das, was so richtig, richtig echt ist. Ich habe das Gefühl, alle Emotionen, die ich auf dem Bildschirm sehe, schwappen auf mich über und kriechen direkt in mich hinein. Das ist es, was mich in den Bann zieht. Jeden Schmerz, jedes Lachen, jede Träne, jeden verzweifelten Schrei spüre ich, obwohl ich bloß Zuschauerin bin. Das mag unter anderem an den zahlreichen Szenen mit Close-Ups und eindringlichen, realistischen Dialogen liegen. So wie die Gefühle der einzelnen Personen erweckt auch die intensive Liebe zwischen den beiden Hauptfiguren Erinnerungen in mir. Erinnerungen an Vergangenes und Gedanken über Zukünftiges. Jedes Knistern, jede Spannung, jede graue und jede rosafarbene Wolke zwischen ihnen kann ich tatsächlich spüren.
Die wahre Kunst ist doch, etwas so Tiefgründiges auf so einfache Art darzustellen, dass es den:die Zuschauer:in durch den Bildschirm (oder die Buchseiten) unmittelbar ins Herz trifft.
Ein Nebeneffekt dessen, dass mir die Serie „normale“ Menschen mit all ihren Schwierigkeiten und Eigenschaften und Verirrungen zeigt, ist: Mit jedem Mal Schauen fühle ich mich okayer mit dem, womit ich zu kämpfen habe. Ich weiß, ich bin nicht alleine damit. Auch wenn es vielleicht andere Konflikte sind und ohnehin nichts „normal“, sondern alles individuell ist. Und es ist okay, keine Lösung parat zu haben und auch nicht direkt etwas verändern zu können und sich schwer zu tun mit dem Leben und Beziehungen. Es ist okay, Fehler zu machen und sich verloren zu fühlen. Es ist okay, einfach nicht zu wissen, wie es geht, dieses Leben.
Individuell inspiriert
Natürlich verstehe ich auch diejenigen, die bewusst den Film mit sicherem Happy End und eher oberflächlichen Dialogen wählen, um ihrer konfliktreichen, schwierigen und ernsten Realität zu entfliehen. Und genauso verstehe ich diejenigen, die eher von Inhalten inspiriert werden, die Lösungen und Erfolge zeigen. So individuell wir sind, so individuell ist auch das, was uns inspiriert, berührt und glücklich macht. Trotzdem möchte ich allen, wirklich allen diese Serie und das zugrundeliegende Buch ans Herz legen.
Weil die Geschichte von Marianne und Connell unweigerlich etwas mit einem macht. Wenn man sich für das Echte und Tiefgründige öffnet.